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Interoperabilität im Gesundheitswesen: Die Brücke zur Digitalisierung



Die Digitalisierung im Gesundheitswesen schreitet weltweit voran und verspricht effizientere Arbeitsabläufe sowie eine bessere Patientenversorgung. Doch eines der größten Hindernisse bleibt die Interoperabilität: die Fähigkeit, dass unterschiedliche Systeme und Organisationen nahtlos miteinander kommunizieren und Daten austauschen können.

Ohne diese grundlegende Eigenschaft bleiben Informationen oft in sogenannten Datensilos gefangen – was nicht nur die Effizienz schmälert, sondern auch die Qualität der Versorgung beeinträchtigen kann.


Stellen wir uns einen Patienten vor, der nach einem Krankenhausaufenthalt in eine Reha-Einrichtung verlegt wird. Beide Einrichtungen nutzen unterschiedliche IT-Systeme, die nicht miteinander kompatibel sind. Was passiert? Laborwerte, Diagnosen oder Behandlungspläne müssen manuell übertragen werden – oder schlimmer noch, es gehen wichtige Informationen verloren. Das kostet Zeit, Ressourcen und belastet das ohnehin stark geforderte Fachpersonal. Gleichzeitig führt diese Ineffizienz zu einer Verzögerung in der Versorgung, die insbesondere bei chronischen Erkrankungen oder Rehabilitationsmaßnahmen schwerwiegende Folgen haben kann.


Interoperabilität ist mehr als nur eine technische Lösung. Sie ist eine systematische Herangehensweise, um das Gesundheitswesen zu vernetzen und die Versorgung zu verbessern. Ihre Grundlage bilden vier zentrale Komponenten: technische, syntaktische, semantische und organisatorische Interoperabilität. Gemeinsam schaffen sie die Basis für ein modernes und patientenzentriertes Gesundheitssystem, das effizienter, sicherer und transparenter wird.


Die vier Bausteine der Interoperabilität: Ein Blick ins Detail

Technische Interoperabilität ist der erste Schritt. Sie sorgt dafür, dass Systeme wie Krankenhausinformationssysteme (KIS), Laborsysteme oder medizinische Geräte überhaupt miteinander verbunden werden können. Das Problem? Viele dieser Technologien wurden historisch unabhängig voneinander entwickelt, was dazu führte, dass proprietäre Schnittstellen die Norm sind. Ein Beispiel: Ein Laborgerät übermittelt Daten in einem speziellen Format, das ohne Anpassung nicht in ein KIS integriert werden kann. Die Folge sind Medienbrücken wie Faxgeräte oder manuelle Eingaben – zeitraubend und fehleranfällig. Um das zu ändern, braucht es standardisierte Protokolle und Schnittstellen. Hierbei könnten Initiativen wie der flächendeckende Einsatz von APIs (Application Programming Interfaces) und der Aufbau zentraler Integrationsplattformen den Austausch erleichtern.

Die syntaktische Interoperabilität geht einen Schritt weiter und beschäftigt sich mit der Struktur der Daten. Hier kommen Standards wie HL7 (Health Level 7) und FHIR (Fast Healthcare Interoperability Resources) ins Spiel. Sie definieren, wie Daten aus verschiedenen Quellen einheitlich verarbeitet werden können. Ein Arztbrief sollte zum Beispiel unabhängig vom verwendeten System korrekt interpretiert werden. In der Praxis sieht das oft anders aus: Unterschiedliche Implementierungen dieser Standards führen dazu, dass Daten falsch dargestellt oder gar nicht erst übertragen werden können. Die Einführung von Interoperabilitätsverzeichnissen könnte hier Abhilfe schaffen, indem sie alle gültigen Datenstrukturen und ihre Anwendungsfälle zentral dokumentieren.

Bei der semantischen Interoperabilität wird es richtig knifflig. Hier geht es darum, dass Daten auch inhaltlich einheitlich verstanden werden. Begriffe wie "Hypertonie" oder "hoher Blutdruck" müssen von allen Systemen gleich interpretiert werden, um Missverständnisse zu vermeiden. Ohne semantische Standards könnten dieselben Begriffe in unterschiedlichen Kontexten zu völlig anderen Bedeutungen führen – mit potenziell fatalen Folgen für die Patientenversorgung. Systeme wie SNOMED CT oder ICD sind wertvolle Ansätze, werden aber noch nicht flächendeckend genutzt. Eine einheitliche Terminologieplattform, die kontinuierlich aktualisiert wird, könnte die semantische Interoperabilität signifikant verbessern.

Organisatorische Interoperabilität schließlich regelt die Rahmenbedingungen: Wer darf auf welche Daten zugreifen? Wie werden die Datenhoheit und der Datenschutz gewährleistet? Und wie lassen sich unterschiedliche Standards und Praktiken zwischen Krankenhäusern, Arztpraxen und Krankenkassen harmonisieren? Ohne klare Regeln und Prozesse kommt es oft zu Verzögerungen oder ineffizienten Abläufen. Ein Beispiel ist der Austausch von Patientendaten zwischen einem Krankenhaus und einem niedergelassenen Arzt: Fehlen Vereinbarungen, sind diese Prozesse meist mühsam und zeitintensiv. Die Etablierung von einheitlichen Governance-Modellen und rechtlichen Rahmenwerken könnte diesen Herausforderungen entgegenwirken.


Herausforderungen durch historisches Wachstum: Warum es hakt

Das deutsche Gesundheitswesen ist durch eine stark fragmentierte Entwicklung geprägt. Über Jahrzehnte hinweg haben Krankenhäuser, Praxen und Labore ihre eigenen IT-Systeme entwickelt – oft ohne Rücksicht auf eine übergreifende Vernetzung. Das Ergebnis: wertvolle Informationen bleiben in Datensilos gefangen, die Kommunikation zwischen den Einrichtungen ist erschwert, und ineffiziente Prozesse kosten Zeit und Ressourcen. Hinzu kommt, dass ältere Systeme oft inkompatibel mit modernen Technologien sind, was die Einführung neuer Standards zusätzlich erschwert.

Ein weiteres Hindernis sind die erheblichen Kosten. Der Krankenhauszukunftsfonds (KHZF) hat 4,3 Milliarden Euro für die Digitalisierung bereitgestellt, doch diese Mittel decken oft nur einen Bruchteil der tatsächlichen Ausgaben. Neben der Anschaffung neuer Technologien müssen Arbeitsabläufe angepasst und das Personal geschult werden. Viele Einrichtungen zögern, diese Investitionen zu tätigen, aus Angst vor kurzfristigen Belastungen. Langfristig jedoch führt dieses Zögern dazu, dass die Digitalisierung stagniert. Eine verstärkte Förderung durch den Staat sowie finanzielle Anreize für kleinere Einrichtungen könnten hier Abhilfe schaffen.

Nicht zu vergessen: die Datensicherheit. Mit zunehmender Vernetzung wächst die Sorge vor Cyberangriffen und Datenlecks. Diese Bedenken hemmen die Akzeptanz neuer Technologien und erschweren die flächendeckende Umsetzung von Interoperabilitätslösungen. Gleichzeitig gibt es unterschiedliche gesetzliche Regelungen in den Bundesländern, die den Fortschritt weiter bremsen. Einheitliche Datenschutzrichtlinien und ein klar definierter rechtlicher Rahmen könnten helfen, diese Unsicherheiten zu beseitigen.


Deutschlands Ansätze zur Lösung: Ein Blick nach vorn

Mit der Telematikinfrastruktur (TI) hat Deutschland einen zentralen Ansatz geschaffen, um die Interoperabilität zu fördern. Die TI soll den sicheren und standardisierten Austausch von Gesundheitsdaten über alle Akteure hinweg ermöglichen. Ein zentrales Element ist die elektronische Patientenakte (EPA), die Patienteninformationen zentral speichert und für verschiedene Einrichtungen verfügbar macht. Doch die praktische Umsetzung ist eine Mammutaufgabe: Viele Krankenhäuser und Praxen kämpfen mit technischen und organisatorischen Hürden, die Integration in bestehende Systeme ist komplex, und das Fachpersonal muss erst einmal geschult werden. Langfristig könnte der Ausbau zentraler Schulungsprogramme und die Bereitstellung technischer Unterstützung die Akzeptanz und Effizienz dieser Systeme erhöhen.

Auch das elektronische Rezept (E-Rezept) ist ein wichtiger Schritt in Richtung Digitalisierung. Es ermöglicht Patienten, ihre Rezepte digital zu erhalten und direkt an Apotheken weiterzuleiten. Doch wie so oft steckt der Teufel im Detail: Viele Apotheken, insbesondere kleinere Betriebe, sind noch nicht ausreichend ausgestattet, um das System effizient zu nutzen. Eine flächendeckende Förderung kleinerer Apotheken könnte dazu beitragen, diese Lücke zu schließen.


Internationale Vergleiche: Wie machen es die anderen?

Großbritannien hat mit der "NHS Spine" eine zentrale Plattform geschaffen, die den Datenaustausch zwischen Einrichtungen erleichtert. Ärzte können in Echtzeit auf Patientendaten zugreifen, was die Effizienz erheblich steigert. Doch auch hier gibt es Herausforderungen: Regionale Unterschiede und hohe Anforderungen an die Datensicherheit machen die vollständige Integration schwierig. Dennoch zeigt der NHS, wie eine konsequente Umsetzung zentraler Plattformen den Patientenfluss verbessern kann.

Die USA hingegen setzen auf einen dezentralen Ansatz, der stark von privaten Anbietern geprägt ist. Standards wie HL7 FHIR wurden eingeführt, um den Datenaustausch zwischen den zahlreichen Systemen zu erleichtern. Doch die Fragmentierung bleibt ein Problem: Patienten müssen oft selbst dafür sorgen, dass ihre Daten von einer Einrichtung zur anderen gelangen. Initiativen wie der "21st Century Cures Act" setzen Anreize, um den Austausch zu verbessern, doch die Umsetzung bleibt aufgrund der Vielzahl der Akteure herausfordernd.


Die Rolle der KI: Ein Gamechanger?

Künstliche Intelligenz (KI) könnte ein entscheidender Hebel sein, um die bestehenden Herausforderungen der Interoperabilität zu bewältigen. Algorithmen können unstrukturierte Daten wie Freitext in strukturierte Formate umwandeln, die von verschiedenen Systemen verarbeitet werden können. Das spart Zeit und reduziert Fehler. Zudem kann KI helfen, unterschiedliche Standards zu harmonisieren. Durch die automatische Konvertierung von Daten in einheitliche Formate wie HL7 FHIR wird die Kommunikation zwischen Systemen erheblich erleichtert. Darüber hinaus bieten KI-gestützte prädiktive Analysen die Möglichkeit, ineffiziente Prozesse zu erkennen und gezielt zu verbessern.

Ein weiteres Potenzial von KI liegt in der Verbesserung der Benutzerfreundlichkeit. Intuitive, KI-gestützte Benutzeroberflächen können das Personal entlasten und die Akzeptanz neuer Technologien erhöhen. Langfristig könnte KI somit nicht nur technische Hürden überwinden, sondern auch die Nutzung digitaler Lösungen insgesamt vereinfachen.


Fazit: Interoperabilität als Schlüssel zur Zukunft

Interoperabilität ist kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit für ein modernes Gesundheitssystem. Deutschland hat Fortschritte gemacht, steht aber noch vor großen Herausforderungen. Internationale Beispiele zeigen, dass es keine einfachen Lösungen gibt – aber auch, dass der Weg nach vorn machbar ist.

In Zukunft könnte der Einsatz ausgefeilter technischer Lösungen, die sich wie ein Layer über bestehende Systeme legen, eine entscheidende Rolle spielen. Ein Beispiel hierfür wäre eine Middleware-Plattform wie elea, die bestehende Krankenhausinformationssysteme (KIS) mit anderen Anwendungen wie Laborsystemen oder mobilen Gesundheits-Apps verbinden kann. Diese hoch interoperablen Technologien würden es ermöglichen, die Fragmentierung der aktuellen Systeme zu überbrücken, bis zentralisierte Lösungen flächendeckend etabliert sind. Langfristig wird der Fokus darauf liegen, nationale oder sogar internationale Plattformen zu schaffen, die unterschiedliche Softwarelösungen miteinander verbinden. Auf diese Weise könnten nicht nur effektive, sondern auch zukunftssichere technische Lösungen bereitgestellt werden, die stets auf dem neuesten Stand sind.


Mit der richtigen Mischung aus Technologie, politischem Willen, Zusammenarbeit aller Akteure und einer Mütze voll Mut können wir ein vernetztes, effizientes und patientenzentriertes System schaffen. Und vielleicht wird die Interoperabilität dann nicht mehr als Hindernis wahrgenommen, sondern als Grundlage für eine bessere Versorgung.

 

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